Bereits zum 6. Mal finden die „Bielefelder Aktionswochen gegen Rassismus“ statt, welche vom Bielefelder Netzwerk rassismuskritischer Arbeit organisiert werden. Im Zeitraum vom 01. März bis zum 30. April stellen viele Akteur:innen spannende Beiträge unter dem Leitmotiv „Rassismus – Nicht mit mir!“vor.
Auch das PIKSL Labor Bielefeld beteiligt sich in diesem Jahr wieder an den Bielefelder Aktionswochen gegen Rassismus.
Eigentlich war dazu ein Workshop am 21. April im PIKSL Labor geplant. Eigentlich. Den Satz „Aufgrund der aktuellen Bestimmungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass…“ haben wir in dieser Pandemie schon viele, viele Male gehört. Und tatsächlich: „Wegen der aktuellen Corona-Maßnahmen muss das PIKSL Labor Bielefeld leider bis auf Weiteres geschlossen bleiben“.
Ja, schade!
Nun haben wir vom PIKSL Labor überlegt, wie unser Beitrag trotz (!) der aktuellen Corona-Maßnahmen präsentiert werden kann.
Wie Sie sich vermutlich schon gedacht haben, ist dieser Blogbeitrag ein Teil der Alternative für den ausgefallenen Workshop. Hier erfahren Sie, worum es sich bei dem Begriff Ableismus handelt. Zusätzlich haben wir einen Learningsnack erstellt, mit dem Sie ihr neuerworbenes Wissen festigen können oder einmal selbst überprüfen, wie viele Vorurteile Sie im Sinne von Ableimus vielleicht ja sogar unbewusst selbst haben.
Nun, so viel der Vorrede, starten wir endlich mit unserem Beitrag…!
Das PIKSL Labor Bielefeld präsentiert:
„Wir feiern die Vielfalt! Oder: Was ist Ableismus?“
Able-was? Da fängt es ja schon an. Was hat das denn mit Rassismus zu tun? Was ist das überhaupt?
Das meint das Wort Ableismus?
Ableismus, was ist das eigentlich? Der Begriff stammt aus der US-amerkanischen Behindertenbewegung und ist ein dem Englischen angelehnter Begriff Abelism (extern).
Er setzt sich aus dem Wort Able (von dem englischen Wort able = fähig) und der Nachsilbe Ismus zusammen. Die Nachsilbe deutet an, dass hier eine Form der persönlichen Einstellung oder Geisteshaltung gemeint ist. Sie findet sich auch in Worten, wie Rassismus wieder. Begriffe wie Rassismus, Sexismus oder Ableismus bezeichnen diskriminierende Vorstellungen oder Aussagen.
Unser Wissen über die Welt erschließen wir uns vor allem durch durch Sehen und Hören. Im Laufe unseres Lebens entwickeln wir Vorstellungen darüber, wie der menschliche Körper geschaffen ist und welche Fähigkeiten er besitzt. Dies hat Einfluss auf unsere Erwartungshaltungen gegenüber unbekannten Menschen.
Weicht das Erscheinungsbild oder das Verhalten von unserem Vorwissen ab, werden wir stutzig. Dies ist ein Mechanismus, welcher dem frühen Menschen das Überleben sicherte. Sieht etwas aus, wie ein vertrauter Mensch (zum Beispiel der gleichen Stammes), konnten die Frühzeitmenschen ruhig bleiben. Sah etwas unbekannt, oder gar gefährlich aus, schlug der Verteidigungs- oder Fluchtreflex an. Es war besser, bereits beim Anblick eines Steins zu fliehen, der nur aussah, wie ein Bär, als zu warten, bis man sich seines Eindrucks sicher war. Dann war es möglicher Weise bereits zu spät.
In heutigen Worten: Der Mensch denkt häufig in Schubladen und braucht diese Systeme, um Dinge einzuordnen.
Problematisch wird dies jedoch, wenn sich aus einem solchen Denken in Schubladen eine Geisteshaltung entwickelt. Ist jemand überzeugt, dass ein Mensch bestimmte Erscheinungsformen und Fertigkeiten haben SOLL, ist Vorsicht geboten. In einem solchen Denken werden dann Menschen leicht abgewertet, weil sie eine bestimmte Erscheinung oder Fertigkeit nicht haben. Dies passiert zum Beispiel im Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit.
Ableismus im Alltag
In Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigungen meint dieses Schubladendenken, dass diese Menschen auf ihre Behinderungen reduziert werden. Ein Mensch im Rollstuhl wird als Hilfsbedürftig angesehen oder einer blinden Person die Fähigkeit abgesprochen, sich im Stadtraum zurechtzufinden. Gleichfalls werden erwachsene Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung – man spricht auch von Menschen mit kognitiven Einschränkungen, auf eine kindliche Art und Weise begegnet.
Warum dies passiert, ist leicht verständlich. Oben erwähnte Irritationen in unserer Begegnung mit unvertrauten Personen lassen uns innerlich auf die Suche gehen nach Formen, mit diesen Personen umzugehen.
Und was liegt näher, als jemander:m, die:der in einer Weise spricht, die uns an Kinder erinnert, auch als Kind anzusehen und anzusprechen.
Hierdurch machen Menschen mit Behinderungen durch den Ableismus die gleichen Erfahrungen, wie Frauen durch den Sexismus oder Immigranten durch Fremdenfeindlichkeit. Sie werden nicht länger als individuelle Menschen mit eigenen Wünschen, Vorstellungen und Fähigkeiten gesehen, sondern als Vertreter einer Gruppe von Menschen, die einer bestimmten Schublade zugehören; eben anders sind, als man selbst.
Aber hier geraten wir wieder in eine Falle. Es ist nicht im Sinne einer modernen Anti-Diskriminierung, spräche man ausschließlich über andere Menschen. Viel wichtiger ist es, behinderte Menschen, Menschen mit Beeinträchtigungen, selbst zu Wort kommen zu lassen. Oder anders ausgedrückt, warum das Rad neu erfinden, wenn andere es viel besser hinbekommen?
Twitter ist ein wunderbares Mittel, um einen Einblick in den Alltag von Menschen zu erhalten. Wenngleich wir immer vorsichtig sein müssen, denn auch auf Twitter finden sich Personen, die sich als „Influencer“ (in kurz) inszenieren. Sucht man aber nach dem „Hashtag“ (in kurz) Ableismus, dann findet man zahlreiche kleine Geschichten aus dem Alltag von behinderten Menschen (Twitter).
Und da sind wir auch schon bei einer ganz anderen Frage. Wie sagt man es eigentlich? Behindert? Beeinträchtigt? Autist? Mensch mit geistiger Behinderung? In der deutschen Sprache gibt es so viele unterschiedliche Wörter. „Behinderte Menschen“ und „Menschen mit Behinderung“ sind als politisch korrekte Wörter angesehen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass jemand nicht behindert ist, sondern behindert wird. Behinderung wird heute nicht mehr aus medizinischer Perspektive betrachtet. Behinderung wird durch die Gesellschaft bestimmt.
Wenn ihr euch unsicher seit, wie ihr jemanden ansprechen sollt, fragt! (Leidmedien.de) Die Entwicklung der letzten 50 Jahre hat gezeigt, dass sich im Gebrauch von Wörtern, um Menschen mit Einschränkungen anzusprechen stark gewandelt hat und sich vermutlich immer weiter verändern wird. Aber wichtig ist, mit anderen Menschen immer auf Augenhöhe zu sprechen (PDF).
Aber zurück zu unserem Thema. Seit letztem Jahr gibt es einen kleinen Aufsatz zum Thema Ableismus von Tanja Kollodzieyski. Die studierte Literaturwissenschaftlerin und Germanistin engagiert sich online in Sozialen Medien und offline durch Vorträge zum Thema Inklusion. Auf der Seite dieneuenorm.de findet sich eine ausführliche Besprechung ihres Aufsatzes.
Gleichfalls ist es ein zentraler Punkt der sogenannten „Disability Studies„, dass die Stimmen behinderter Menschen vorherrschend sind. Disability Studies sind die Erfoschung von Behinderungen und der Frage, was „Normal“ ist aus der Sicht von behinderten Menschen. Rebecca Maskos studierte Psychologie und Disability Studies (Podcast auf dw.net) und schreibt ihre Doktorarbeit über Ableismus. Auch auf ihrem Blog diskutiert sie Themen wie Inklusion und Ableismus.
Auf ringelmiez findet sich ein Elternblog zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Ableismus. „Ein Blog von Vielen“ wird von einem Menschen des Autismusspektrums geschrieben. Diese Liste von Seiten mit Beiträgen von behinderten Menschen könnte noch viel weiter fortgesetzt werden. Es gibt unzählige Menschen mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen und ebenso viele Blogs in denen sie von ihren Alltagserfahrungen berichten.
Petra und Jan im Gespräch über Vorurteile
Strategien im Umgang mit Ableismus
Aber wie geht man damit um? Puh! Das ist echt nicht einfach. Wie so oft, hängt es immer vom Zusammenhang ab. Ist man selbst von Ableismus betroffen? Wohnt man als Unbeteiligter einer Situation bei, in der einem behinderten Menschen mit Vorurteilen begegnet wird? Oder möchte man sich selbst persönlich weiterentwickeln?
Behinderte Menschen haben oft ihre eigenen Strategien entwickelt, um im Alltag mit Vorurteilen umzugehen. Vielen hilft es, wenn sie sich mit Gleichgesinnten über ihre Erfahrungan austauschen. Hierdurch können sie vorurteilsfrei Situationen gemeinsam reflektieren, in denen sie Ablehnung erfahren haben, um sich Strategien zurecht zu legen, diesen in Zukunft zu begegnen.
Zuvorderst steht die Möglichkeit, die Ungleichbehandlung direkt anzusprechen oder, statt sich zu rechtfertigen, mit Gegenfragen zu reagieren: „Was lässt Sie vermuten, dass…“. In extremen Fällen können Betroffene auch Angehörige, einen Rechtsbeistand oder Beschwerdestellen einbezogen werden.
Ein weiteres Werkzeug ist die Öffentlichkeitsarbeit. Eine Ursache von Ableismuss kann auch darin gefunden werden, dass die Alltagswelten von Behinderten Menschen in der breiten Bevölkerung noch zu wenig bekannt ist. Durch politisches Engagement, durch das Schreiben von Blogs oder dem Erstellen eigener Vlogs, lassen sich andere Menschen über Ableismus aufklären.
Betroffene können durch spezielle Empowerment-Kurse unterstützt werden, in denen sie lernen, sich dem Problem Ableismus bewusst zu machen, um gezielte Gegenstrategien zu entwerfen und diese in Rollenspielen einzuüben.
Das Gelingen von Teilhabe und sozialem Miteinander hängt davon ab, wie sehr wir uns in unsere*n Gegenüber eindenken und einfühlen können. Wie starkt wir uns dabei durch Äußerlichkeiten in unserem Urteil über Menschen beeinflussen lassen, liegt vielleicht auch daran, was wir als Normal bezeichnen.
Normalität und Anormalität
Das bringt mich zu einem ganz anderen Thema. In den Sozialwissenschaften und Pädagogik findet sich ein Forschnungsbereich, der sich Normalismusforschung nennt. Hierin wird ganz genau untersucht, was als Normal bezeichnet werden kann. Sie sucht nach den Eigenschaften von „Max*im Musterfrau*mann“. Letztendlich ist es „normal“, sich an der sogenannten gesellschaftlichen Mitte, dem Durchschnitt der Bevölkerung zu orientieren.
Aus Angst, nicht normal zu sein, distanzieren wir uns vom „nicht-normalen“.
Aber das schöne an den Erkenntnissen dieses Foschnungszweiges ist, dass es keine Grenze gibt, die einem sagt: Das ist noch normal, aber jenes ist nicht mehr normal. Es ist alles ein fließender Übergang. Jedoch muß die Anormalität irgendwo beginnen und die Normalität enden, denn ohne das Annormale, ist das Normale nicht denkbar.
Aber die Grenze zwischen Normaität und Anormalität ist für jeden Menschen anders. Wir machen sie an ganz unterschiedlichen Eigenschaften fest: Leistung, Intelligenz, Motivation, Sicherheit, Gesundheit oder Stress und viele mehr. Das Umfeld in dem wir leben und aufgewachsen sind, haben großen Einfluss darauf, was wr als Normal betrachten.
Doch wir sind nicht auf ewig verdammt, ein und die selbe Haltung zu haben. Als Menschen sind zur Veränderung fähig.
Zum weiterlesen:
- Link, Jürgen (1998): Versuch über den Normalismus; Wie Normalität produziert wird. Göttingen.
- Schildmann, Ulrike (2002): „Leistung als Basis-Normalfeld der (post-) modernen Gesellschaft – kritisch reflektiert aus behindertenpädagogischer und feministischer Sicht.“ In: Bundschuh, Konrad (Hrsg.): Sonder- und Heilpädagogik in der modernen Leistungsgesellschaft. Krise oder Chance. Bad Heilbrunn/Obb. S. 125-132.
Ein kleiner Lernhappen (learningsnack.de)
Die PIKSL Labore als Orte der Begegnung
Was ist besser geeignet, andere Menschen zu treffen, als spezielle Orte der Begegnung. Im Café, der Bar, Disko oder auf Musikveranstaltungen, auf der Straße, im Supermarkt oder auf der Arbeit. Überall begegnen uns ganz unterschiedliche Menschen.
Auch die PIKSL Labore sind Orte der Begegnungen. PIKSL ist eine Abkürzung und steht für „Personenzentrierte Interaktion und Kommunikation für mehr Selbstbestimmung im Leben“
Das PIKSL Labor Bielefeld ist eine offene und inklusive Begegnungsstätte zum Thema Digitale Teilhabe. Menschen aus der Ortschaft Bethel und Bürger*innen aus Bielefeld vermögen dort moderne Kommunikations- und Informationstechnologien kennenlernen, nutzen und im Umgang mit digitalen Medien voneinander lernen. Außerdem werden gemeinsam Ideen und Lösungen bei Problemen im Umgang mit digitalen Medien entwickelt.
Das PIKSL Labor Bielefeld verfügt über insgesamt 10 Computer-Arbeitsplätze und diverse mobile Endgeräte (Tablets), um z. B. im Internet zu recherchieren, eine Email zu schreiben oder andere Angebote des Internets zu nutzen. Neben diesem offenen Treff gibt es auch einzelne spezielle Medienbildungsangebote, wie PC-Einsteigerkurse, Smartphone-Kurse oder Workshops zu Sicherheitsthemen und Medienproduktion. Mit unseren Besucher*innen experimentieren wir mit Robotern (Ozobots) und geben ihnen die Möglichkeit, in unserem Blog über ihren Alltag zu schreiben oder ein Video für unseren Youtube-Kanal zu produzieren.
An das PIKSL Labor angegliedert sind weitere Arbeitsbereiche und Projekte. Dazu zählen das Testen von Webseiten auf Barrierefreiheit nach BITV-Test/WCAG Standards, sowie das Testen auf Usability durch Menschen mit Beeinträchtigungen. Im Projekt Smart im Alltag (SiA) werden durch Menschen mit Beeinträchtigungen „smarte“ Alltagsgeräte auf ihre einfache Nutzbarkeit hin untersucht.
Kurz: PIKSL möchte Kompliziertes vereinfachen und Nutzer*innen befähigen, selbstständig digital teilzuhaben. Weiterhin bringt PIKSL Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen, um innovative Ideen durch Inklusion zu verwirklichen. Es ist ganz im Sinne des sogenannten Design Thinking-Ansatzes, möglichst unterschiedliche Menschen zusammen zu bringen, um ein Problem zu lösen, oder ein Produkt zu entwerfen, das dann von möglichst vielen Menschen genutzt werden kann; eben barrierearm ist.
Bei uns ist jede*r willkommen. Kommt vorbei… zumindest wenn Corona vorüber ist und wir das PIKSL Labor Bielefeld wieder öffnen können.